von Excubitor » Sa 16. Jul 2016, 17:31
Zunächst einmal sei festgehalten, dass der Putschversuch in der Türkei, so es sich nicht um eine absolut perfide Inszenierung gehandelt hat, was immer noch möglich ist, offenbar sehr dilettantisch geplant war und noch schlechter ausgeführt worden ist. Von einem "normalen" Putsch ausgehend hat man nicht nur den Irrsinn in der überwiegend wenig gebildeten Anhängerschaft Erdogans sich tatsächlich dem Militär in den Weg zu stellen völlig unterschätzt, sondern auch sträflich missachtet, dass ein solches Unternehmen nur dann funktionieren kann wenn sichergestellt ist, dass die Kommunikations- und Befehlsketten bis ins letzte Glied funktionieren und die Leute folgsam sind. Letzteres ist der größte Unsicherheitfaktor bei einem Putsch, da man als Initiator eben nie sicher sein kann wer wirklich bis zur letzten Konsequenz mitmacht, wenn es darum geht auf eigene Leute schießen und diese sogar töten zu müssen... Ergebnis: Ein sich schon nach kurzer Zeit aufgebender Trupp von ca. 50 schwerbewaffneteten Soldaten auf einer der beiden Bosporusbrücken, die sich ausgerechnet der eher weniger gut ausgerüsteten Polizei ergaben (was natürlich Fragen aufwirft, da zu diesem Zeitpunkt der Putsch noch in vollem Gange war, womit wir wieder bei einer möglichen Inszenierung wären).
Fakt ist bislang, dass, sobald der Putsch wirklich endgültig gescheitert ist, die Position von Erdogan zunächst einmal gestärkt wird und sich das Land weiter von der Demokratie wegentwickeln wird. Die "Säuberungsaktionen", welche derzeit schon begonnen haben, zeugen ein klares Bild davon welche Vorstellung Erdogan von einer Demokratie hat. Die geht nämlich ausschließlich so weit, wie sie seine persönlichen, mumaßlich auf narzisstischen Grundleinstellungen beruhenden, Interessen erfüllt.
Die europäischen Spitzenpolitiker müssen jetzt mehr als je zuvor, anstatt Erdogan Beifall zu zollen, diesem dringendst seine politischen Grenzen aufzeigen, sofern sie nicht weiter dabei zusehen wollen wie die Demokratie in der Türkei nicht nur weiter ausgehöhlt, sondern letztlich abgeschafft werden wird, sobald "ErdoKhan" eine Position erreicht hat, die ihm das ermöglicht.
P.S.: Bei der türkischstämmigen Bevölkerung hier scheint das Ganze auf großes Interesse zu stoßen, Ich habe heute nicht einen einzigen türkischen Staatsbürger oder solchen mit Migrationshintergrund auf der Straße gesehen als ich vorhin zum Einkaufen war... Und hier besteht die Bevölkerung mehrheitlich aus eben diesen.
© TU Graz Solidarität mit den Menschen in der UkraineWer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren. (Berthold Brecht)