Überforderte Marines stellen Amerika bloß
Washington ist entsetzt über das Skandal-Video, das GIs zeigt, wie sie auf getötete Taliban urinieren. Warum hat das Militär seine Soldaten nicht im Griff? Psychologen erklären, wie es zu solchen Taten kommen kann.
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Experten versuchen, solche Verfehlungen zu erklären. „Das können Scherzbolde mit einem extrem schlechten Geschmack sein – oder es handelt sich um ein tiefer gehendes Problem“, sagte Eugenia Weiss, Militärpsychologin an der University of Southern California.
Manche Kämpfer gerade in Gebieten wie Afghanistan könnten nicht mit dem hohen Stress- und Adrenalinpegel umgehen. „Man muss ständig extrem aufmerksam sein“, sagte Weiss dem Sender MSNBC. Der Feind sei unbekannt, jeder auf der Straße könne eine Bombe mit sich tragen, und für die Soldaten gebe es keinen sicheren Rückzugsort. „Das schafft Unsicherheit. Und je größer die Unsicherheit, desto größer der Stress“, so die Psychologin, die in ihrer Praxis nahe Camp Pendelton Marines behandelt.
Auf den getöteten Feind zu urinieren könne deshalb eine Art Bewältigungsmechanismus sein, oder auch ein Akt von Rache: „Viele Soldaten haben Kameraden verloren“. Dazu komme eine fehlgeleitete Gruppendynamik, die unter Menschen aufkommen könne, die gemeinsam Gefechte durchstehen.
Der Psychologe Richard Ogle von der University of North Carolina Wilmington drückte es so aus: „Im Gefecht zu sein birgt das Risiko Dinge zu tun, die man in anderen Situationen niemals tun würde“. Das habe es schon immer gegeben. Der alltägliche Horror des Krieges.
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http://www.handelsblatt.com/politik/international/ueberforderte-marines-stellen-amerika-bloss/6065186.html
Wenn keine noch so hochwertige militärische Ausbildung diesen "Bewältigungsmechanismus" unschädlich machen kann, müssen sich Rechtsstaaten eben auf das absolut unvermeidliche Minimum an militärischer Aktivität beschränken. Die Beseitigung einer fremden Staatsmacht, von der man auf eigenem Territorium angegriffen wurde oder die gerade einen Völkermord begeht, ist natürlich eine unausweichliche Notwendigkeit. Eine jahre- oder gar jahrzehntelange Besetzung eines Landes zwecks Zwangseinführung der Demokratie aber ganz sicher nicht.
Die Taliban mussten weg, aber man hätte die politische Macht in Afghanistan an ihre stärksten innenpolitischen Gegner ohne Rücksicht auf deren demokratisches Profil übergeben und sich nach wenigen Monaten Besetzung des Landes wieder zurückziehen sollen.