Das Argument, wer am Existenzminimum kraxelt, könne nicht mehr vernünftig arbeiten, kann ich hingegen nicht nachvollziehen, denn das Benehmen
und die Art des Arbeitens ist keine Frage des Geldes sondern des Verhaltens.
Hallo Excubitor,
wie immer im wirklichen Leben haben wir beide teils - teils Recht:
- wenn der Handwerker halbwegs angemessen ausgestattet ist,
- wenn Terminstress beherrschbar bleibt,
- wenn realistische Aussicht auf Besserung besteht,
- wenn die Schuldenlage sich mindern kann,
- wenn der Handwerker eine positive zivilisierte Persönlichkeit ist,
also wenn noch ein Quantum an realistischer Zukunftserwartung besteht, dann kannst Du einen freundlichen, korrekten Handwerker erwarten, denn er hofft z.B. auf Folgeaufträge.
Wenn das allerdings alles nicht zutrifft,
- er mehrfachen Frust am neuen Tag schon vor dem Auftauchen an der Baustelle schlucken musste,
- es ohnehin klar ist, dass er den Kunden terminlich, qualitätsmäßig oder sonstwie nicht wird zufrieden stellen können,
- die Aussicht auf Sozialamt oder Arbeitsstelle für ihn keinen emotional großen Unterschied mehr macht, er also innerlich schon gekündigt hat,
- das Keifen in der Familie, unter den Kollegen und im Internet zur Gewohnheit geworden ist,
dann sind wir in der Situation, die ich versuche zu beschreiben. Denn wie ich vermute, handelt sich bei dem von Dir Beschriebenen um einen Kleinstauftrag. Da werden gesunde Firmen, wenn Du nicht Stammkunde bist, überhaupt kein Angebot abgeben, erst recht nicht in Boomzeiten. Die nehmen nur Aufträge an, an denen man verdienen oder Folgeaufträge erwarten kann.
Ich habe z.B. für einen Haustechnik-Reparaturauftrag im Wert von 1500 bis 2000 € 8 Firmen angeschrieben, um das Angebot der "Firma meines Vertrauens" zu überprüfen, da es mir als zu hoch erschien. Ich habe 1 !!! Angebot erhalten, was aber nicht wirklich brauchbar war, weil es mengenflexible Positionen enthielt und somit kein Gesamtergebnis ableitbar war, was Laien vielleicht nicht aufgefallen wäre. Ich werde mir also zusätzliche Arbeit sparen und die "Firma m. V." beauftragen.
Dann kommen noch zeitgeistige Komponenten dazu, was das Leben zwischen Kunden und Handwerker in Richtung Unerträglichkeit führt:
Zunehmende Gereitztheit, abnehmender Anstand, Etikette und Respekt, Training der Bösartigkeit im Internet; - gewaltige "Fortschritte" im Anspruchsdenken der Planenden, Kunden und Gesetzgebern; - fragile überlange weltweite Lieferketten - gerade sehr aktuell; - Verständigungsschwierigkeiten von Billiglöhnern aus vielen Nationen auf den Baustellen; - überempfindliche Kreditgeber; - seit langem grenzenlos explodierende Normung und Gesetzgebung; - Richter, die die Baubranche nicht verstehen und unmachbares fordern; - und zunehmende Entfremdung in Ausbildung, Wissen und Praxis zwischen den Planenden und Ausführenden. ( insgesamt System Turmbau zu Babel)
Ich hatte das Privileg, alte Pläne für den Bau eines Horten-Kaufhauses zu sehen: die Kläglichkeit wäre jedem heute Beteiligten um die Ohren geschlagen worden, von Baugenehmigung hätte man nicht einmal zu träumen gewagt. Standardaufkleber in den Plänen war: "Detail wird auf der Baustelle geklärt". Heute undenkbar, damals machbar, weil erfahrene und kundige Handwerker mit entsprechend praxiserfahrenen Bauleitern kommunikations- und feierbereit waren, ja man hat auch miteinander gesoffen.
Die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) wurde einstmals zur Decklung der Höchstpreise vom Gesetzgeber beschlossen, kürzlich wurde sie von EGH für ungültig erklärt, weil sie das Unterbieten von Mindestsätzen verhindere und den Wettbewerb einschränke. Das Berufsbild ist so "attraktiv", dass es schon Bauämter gibt, die sich Ingenieure aus privatwirtschaftlichen Büros ausleien müssen.
Mit heutiger Mentalität hätte Deutschland den Wiederaufbau nicht geschafft und wäre ein verarmter Agrarstaat, wie das einge Politiker der Siegermächten erträumt hatten.
PS.: der Frust musste mal raus ...