Allgemeines & Besonderes Bestimmtheitsgebot

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Allgemeines & Besonderes Bestimmtheitsgebot

Beitragvon AlexRE » Do 30. Jun 2011, 09:06

Mit einem aktuellen Urteil führt das Landesarbeitsgericht Köln vor, wie man das in allen Rechtsstaaten weltweit gültige Bestimmtheitsgebot verletzen kann. Es geht um die Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen. Ein Arbeitgeber hatte wegen der Zusammenlegung zweier Abteilungen einem 53-jährigen alleinstehenden Abteilungsleiter gekündigt, weil der 35-jährige andere Abteilungsleiter Familienvater und zwei Kindern unterhaltspflichtig ist. Das hohe Gewicht des Familienstandes und der Unterhaltspflicht bei der Sozialauswahl soll jetzt in diesem einen Fall auf einmal nicht mehr gelten.

Das ist ein rechtlich zutreffender Kommentar zu dem Urteil:

schon nach dem Wortlaut von § 1 III S.1 KSchG hat der Arbeitgeber die sozialen Gesichtspunkte lediglich „ausreichend“ zu berücksichtigen. Es ist eben nicht die Aufgabe des Gerichts die Sozialauswahl durchzuführen. Das kann es mangels Kompetenz gar nicht. Eine Überprüfung beinhaltet daher nur mögliche Fehler des Arbeitgebers bei der Sozialauswahl
Hintergrund:
Das BAG weist zu Recht darauf hin, dass der Arbeitgeber “bei Gewichtung der Sozialkriterien einen Wertungsspielraum hat (BAG 18.1.2007) und den kann das Arbeitsgericht nicht ersetzen. Auch der Gesetzgeber hat hinsichtlich der Durchführung der Sozialauswahl bewusst keine starren Vorgaben gemacht. Die Auswahlentscheidung des Arbeitgebers muss daher “nur” vertretbar sein. Folglich muss dessen Entscheidung nicht unbedingt dem Ergebnis entsprechen, das das Gericht erzielt hätte, wenn es eigenverantwortlich soziale Erwägungen hätte anstellen müssen.


http://www.rechtsanwalt-arbeitsrecht-berlin.com/2011/05/24/lag-koln-wer-junger-ist-muss-gehen-auch-wenn-er-2-kinder-hat-lag-koln-meint-die-sozialauswahl-selbst-vornehmen-zu-durfen/

Ohne den genannten Ermessensspielraum des Arbeitgebers wäre der § 1 III S.1 KSchG an sich verfassungswidrig. Dann wäre nämlich die weder vom Gesetzgeber noch von der Rechtsprechung vorgegebene Gewichtung der Kriterien der Sozialauswahl zueinander ein Verstoß gegen das allgemeine Bestimmtheitsgebot, das sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergibt (Art. 20 Abs. 3 GG).
Der Stuttgarter OB Rommel:

Ich trete überall, wo das notwendig ist, der Meinung entgegen, der Umstand, dass die Diktatur zu allem fähig war, berechtige dazu, die Demokratie zu allem unfähig zu machen.
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Re: Allgemeines & Besonderes Bestimmtheitsgebot

Beitragvon GasGerd » Mo 8. Aug 2011, 17:48

Ich habe mal was zum Themenkomplex "Besonderes Bestimmtheitsgebot" auf einen gmx - thread zum Fall Gäfgen / Daschner gepostet:

Schierlingsbecher

"Ich hatte nie die Hoffnung, Sie und andere von meiner Meinung zu überzeugen und habe das Gefühl, dass Sie meinen Kernaussagen konsequent ausweichen. Daher beende ich meinen Teil der Diskussion hiermit und überlasse Ihnen das letzte Wort."

So etwas nennt man "von sich auf andere schließen" oder in psychologischer Fachterminologie "spiegeln".

Sie haben hier meine Kernaussage ignoriert, nach der das strafgerichtliche Urteil gegen Herrn Daschner entgegen der Auffassung des EGHMR hinreichend gewahrt hat und deshalb die zivilrechtliche Verurteilung des Landes Hessen zu Schadensersatz eben nicht geboten war. Das Rückwirkungsverbot ist dabei sehr wohl von höchster Relevanz, weil Strafurteile sich bekanntlich (das wird sogar Ihnen bekannt sein) SOWOHL nach dem objektiven Schadenspotential und der Gefährlichkeit der Tat ALS AUCH nach der rein individuellen Schuld richten. Und da war es ganz entscheidend, dass ein Täter ERSTMALS wegen einer bestimmten Fallkonstellation verurteilt wurde und damit eine schwere Anspannung des besonderen Bestimmtheitsgebots bzw. Rückwirkungsverbots verursacht wurde. Bei solchen Erstverurteilungen befindet sich der Täter nämlich immer in der Nähe eines Verbotsirrtums.

Ich erinnere insoweit an den Mannesmann - Prozess, in dem erst der BGH die Strafbarkeit nach § 266 StGB in Fällen dieser Art erstmals festgestellt hatte und das zuständige LG nach der Zurückverweisung wegen des Spannungsverhältnisses der ganzen Geschichte zum besonderen Bestimmtheitsgebot trotz der enormen Schadenshöhe (zweistellige Millionenbeträge!!!) die Verfahren gegen Bußgeldauflage eingestellt hat.

Dass der EGHMR das verkannt hat, obwohl er in einem ganz anderen Zusammenhang das Rückwirkungsverbot seeehr hoch gehängt hat, halte ich für durchaus erwähnenswert. Es ist sogar dringend geboten, die Fehlbarkeit von Richtern zu unterstreichen, deren Entscheidungen ausnahmslos jeden demokratischen Beschluss auf allen Ebenen derogieren können.


http://meinungen.gmx.net/forum-gmx/post ... sp=42#jump
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