Trend Ausbürgerung
13. Juni 2012 22:59; Akt: 14.06.2012 08:19 Print
Immer mehr US-Expats geben ihren Pass abvon Martin Suter - Vom amerikanischen Fiskus verfolgt und von Schweizer Banken verstossen, geben immer mehr im Ausland lebende US-Bürger ihren Pass ab. Wenn sie es sich überhaupt leisten können.
Für Donna-Lane Nelson war der 12. Dezember 2011 einer der traurigsten Tage ihres Lebens. Draussen regnete es, als sie im Untergeschoss der US-Botschaft in Bern die rechte Hand zum Schwur erhob und gelobte, ihre amerikanische Staatsbürgerschaft für immer aufzugeben. Gleichzeitig habe sie eine grosse Erleichterung gespürt, sagt die eingebürgerte Schweizerin heute. «Es fühlte sich an wie die Scheidung von einem gewalttätigen Ehemann.»
Nelson, eine vor 70 Jahren in der Gegend von Boston geborene Schriftstellerin aus Genf, zählt zur wachsenden Zahl von US-Doppelbürgerinnen und -Doppelbürgern, die sich im Ausland von ihrem Herkunftsstaat rechtlich abkoppeln. Seit die USA nach der Finanzkrise von 2008 die Steuerschraube angezogen haben, wird immer mehr US-Bürgern ihre finanzielle Zwangjacke zu eng. Letztes Jahr gaben nach Angaben der Steuerbehörde IRS 1781 Amerikaner im Ausland ihre Pässe ab. Im Jahr vorher wurden erst 1534 Abtrünnige gezählt und 2008 sogar bloss 231. Nach den Zahlen des ersten Quartals – über 400 – dürfte dieses Jahr ein Rekordstand erreicht werden.
15 Prozent nimmt der US-Fiskus
Ihre Bekannte Julia Schmitz-Leuffen kann sich nicht so glücklich schätzen. Die amerikanisch-schweizerische Doppelbürgerin zahlte vor zwei Jahren einem US-Steuerberater 600 Dollar pro Stunde, damit er ihr die Folgen einer Ausbürgerung vorrechnet. Das Ergebnis war niederschmetternd: Sie könne es sich schlicht nicht leisten, den Pass abzugeben, sagt Schmitz-Leuffen.
Die 64-jährige Buchhalterin hatte mit ihrem inzwischen verstorbenen Mann jahrelang Geld angespart und in Immobilien angelegt. Bei einer Ausbürgerung müsste sie dem US-Fiskus 15 Prozent ihres Gesamteigentums abliefern. Das könnte sie nicht, ohne Wohnungen zu verkaufen – und von diesen Erlösen müsste sie Kapitalgewinnsteuern abliefern. «Würde ich das alles zahlen, hätte ich kein Eigentum und keine Mieteinnahmen mehr», sagt die Frau.
Ihren Söhnen könnte sogar noch Schlimmeres widerfahren. Nach Angaben des Steuerberaters würde die IRS bei ihrem Tod davon ausgehen, dass sie sich aus Steuerflucht ausbürgern liess. Deshalb müssten die Kinder nach ihrem Tod auf der Erbmasse eine prohibitiv hohe Erbschaftssteuer von 65 Prozent zahlen. «Wir werden bestraft fürs Arbeiten, fürs Sparen und fürs Investieren», klagt Schmitz-Leuffen, die nun wohl oder übel Amerikanerin bleibt.
Einzelne Stimmen halten den Ex-PATRIOT Act für verfassungs- und sogar menschenrechtswidrig. Der Steuerkritiker Grover Norquist sieht in ihm eine Neuauflage der Reichsfluchtsteuer, mit der die Nazis die drohende Kapitalflucht der Elite unterbinden wollten. Aber Politiker wie John Boehner, der republikanische Speaker des Repräsentantenhauses, hat sich positiv zu dem Gesetz geäussert.
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