Nach dem Nein im Nationalrat Ständeräte kämpfen weiter für die «Lex USA»Publiziert: 18.06.2013
Die «Lex USA» ist nach dem deutlichen Nein der grossen Kammer wohl nicht mehr zu retten. Die Ständeratskommission gibt trotzdem nicht auf. Und auch die Economiesuisse meldet sich noch zu Wort.
Doch heute die Ernüchterung: Im Nationalrat hat der US-Steuerdeal nicht den Hauch einer Chance. Mit 126 zu 67 Stimmen bei zwei Enthaltungen will der Nationalrat gar nicht erst auf die Vorlage eintreten.
Die Nationalräte der SP, FDP und SVP hielten sich mehrheitlich an die Nein-Parolen ihrer Partei. Am Schluss fehlten über 30 Abweichler, um dem umstrittenen Geschäft zum Durchbruch zu verhelfen.
http://www.blick.ch/news/politik/staend ... 41138.htmlBernard Bertossa, Ex-Generalstaatsanwalt von Genf: «Lex USA ist gefährlicher Präzedenzfall» © TSR .Warum der US-Deal unseren Rechtsstaat verletzt
R. L. / 11. Jun 2013 - Das Gutachten des emeritierten Staatsrechtsprofessors Rainer J. Schweizer zu Handen der Wirtschaftskommission des Ständerats.
upg. Es sei «inakzeptabel», dass Schweizer Gesetze im Eilverfahren geändert werden sollen, nur damit Banken, die gegen US-Gesetze verstossen haben, besser davon kämen. Jeder, der im Ausland angeklagt sei, könnte künftig Gleiches verlangen, warnte der frühere Genfer Generalstaatsanwalt Bernard Bertossa am Dienstag im Westschweizer Radio. Der frühere St. Galler Staatsrechtsprofessor Rainer J. Schweizer kommt in einem Gutachten zu Handen der Wirtschaftskommission des Ständerats zum Schluss, dass die vorgeschlagene «Lex USA» sogar Schweizer Rechtsgrundsätze und grundlegende Bürgerrechte verletze. Infosperber veröffentlicht im Folgenden das Gutachten trotz der juristischen Sprache integral (fette Auszeichnungen vom Original). Das Gutachten wurde zuerst in Weblaw veröffentlicht.
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ORIGINALTITEL:
DAS BUNDESGESETZ ZUM STEUERSTREIT VERLETZT DEN RECHTSSTAAT UND DIE DEMOKRATIE4. Besteht eine Dringlichkeit, das Gesetz zu beschliessen und in Kraft zu setzen?
Verfassungsrechtlich ist eine Gesetzgebung nach Art. 165 BV dann dringlich, wenn eine zeitliche Dringlichkeit besteht. Der Bundesrat beschreibt in Ziff. 5.2 der Botschaft eine Drohkulisse für bestimmte Banken und für den Schweizer Finanzplatz. Doch nach mehr als vier Jahren Verhandlungen und im Blick auf noch manche Jahre an Auseinandersetzungen um die Steuerschuldner der USA – man denke nur daran, dass über 300 Personen gegen die Anordnungen zum UBS-Staatsvertrag vor Gericht gegangen sind und immerhin um die 100 ganz oder teilweise Recht bekommen haben – ist die Dringlichkeit sehr zweifelhaft, selbst wenn die USA jetzt rascher vorwärts machen möchten und mit mehreren Klagen drohen. Ein ordentliches Rechtsetzungsverfahren der Bundesversammlung mit einer Inkraftsetzung im Herbst 2013 hindert keine Bank, schon jetzt Verhandlungen mit den US-Behörden zu führen.
Nach dem öffentlich-rechtlichen Verfahrensrecht des Bundes können Bankmitarbeitende und aussenstehende betroffene Dritte gemäss Art. 25a VwVG Entscheide der Banken über die Information der Betroffenen oder über die Herausgabe ins Ausland anfechten. Und nach Art. 25 DSG stehen den Betroffenen verschiedene öffentlich-rechtliche datenschutzrechtliche Beschwerdemöglichkeiten offen.
Wird demgegenüber geltend gemacht, dass die Vereinbarungen, die die Banken mit den Personalverbänden nach Art. 2 Abs. 1 2. Satz des Entwurfs abschliessen müssen, zwar gesetzlich verlangte, aber dennoch privatrechtliche «Gesamtverträge» pro Firma sind, so müssen die Betroffenen den zivilprozessualen Klageweg beschreiten. Das hat für diese namentlich den grossen Nachteil, dass sie ganz andere Kostenrisiken tragen als Parteien im öffentlich-rechtlichen Beschwerdefahren. Doch es spricht vieles dafür, die «Vereinbarungen» der Banken mit den Mitarbeitenden – deren Abschluss sogar nach Art. 3 Abs. 1 mit Strafen bewehrt ist – auch als öffentlich-rechtliche zu qualifizieren, denn es bestehen hoheitliche Anweisungen an Banken und Personalverbände, und die Vereinbarungen dienen öffentlich-rechtlichen Interessen (Mitarbeiterschutz und Ermöglichung der Datenlieferung zum Schutz der Banken). Die gesetzlichen und verfassungsmässigen Persönlichkeitsrechte können zudem durch solche «Gesamtverträge» höchstens erweitert, nie jedoch eingeschränkt werden. Damit ist der Rechtsweg gegen «Entscheide» einer Bank wahrscheinlich ein öffentlich-rechtlicher.
Doch nochmals: Die schweren Einschränkungen des rechtlichen Gehörs und der (offenbar gewünschte) Ausschluss des Rechtsweges an ein Gericht sind jedenfalls verfassungs- und völkerrechtlich nicht haltbar.
14. Wie erfolgt die Lieferung der Kundendaten?
Die Kundendaten werden im Gegensatz zu den Daten über Mitarbeitende oder aussenstehende Dritte im Rahmen der geltenden Verträge und Gesetze geliefert (Art. 1 Abs. 3 des Entwurfs). Gegenwärtig ist aber ausschliesslich das Doppelbesteuerungsabkommen von 1996 anwendbar, welches nur Steueramtshilfe bzw. Strafrechtshilfe bei Steuerbetrug erlaubt. Die Änderung des Abkommens von 1996 durch das Protokoll von 23. September 2009 ist noch nicht in Kraft, weil der US-Senat diese Änderungen des DBA-USA 96 noch nicht ratifiziert hat. Das heisst, eine Datenlieferung wegen Steuerhinterziehung und bloss auf Grund einer Gruppenanfrage ist zurzeit noch nicht möglich. Vor allem aber haben die US-Steuerpflichtigen volle Verfahrensrechte und alle Rechtsmittel bis zum Bundesgericht, was offenbar den Schweizer Anwältinnen und Anwälten, Treuhändern sowie Bankmitarbeiterinnen und Bankmitarbeitern möglichst versagt sein soll. Insofern müssen sich diese Personen in der Schweiz diskriminiert vorkommen.
16. Weitere Rechte der Betroffenen?
Ausdrücklich sei zum Schluss darauf hingewiesen, dass Treuhandfirmen oder Anwaltskanzleien veranlasst sein könnten, gegen eine Datenlieferung einer Bank an die US-Behörden Strafanzeige wegen unerlaubten wirtschaftlichen Nachrichtendienstes nach Art. 273 StGB einzureichen. Erfolg könnte auch anderen Banken beschieden sein, welche mit sog. «Leaver-Listen» – also den Listen über sog. «Abschleicher» – denunziert werden sollen. Eine Rechtfertigung der Datenlieferung ergibt sich aus dem Gesetzesentwurf selbst nicht.
Autoren des Gutachtens:
Prof. Rainer J. Schweizer, St. Gallen, in Zusammenarbeit mit Dr. Markus H.F. Mohler, Binningen/Basel, und Rechtsanwalt Dr. Alexander M. Glutz, Zürich.
Themenbezogene Interessen (-bindung) der Autorin/des Autors
http://www.infosperber.ch/FreiheitRecht ... echtsstaat