Afghanistan

Ein Unterforum für rechtsvergleichende Themen

Re: Afghanistan

Beitragvon AlexRE » Di 6. Jul 2021, 19:49

maxikatze hat geschrieben:Professor Dr. Reinhard Merkel, Hamburg
Die „kollaterale“Tötung von Zivilisten im Krieg
Rechtsethische Grundlagen und Grenzen einer prekären Erlaubnis
des humanitären Völkerrechts


https://www.researchgate.net/publicatio ... lkerrechts

... Eine solche Pflicht
zur Hinnahme des Geopfertwerdens durch andere, die man
nicht bedroht, zugunsten von Zielen, mit denen man nichts
zu schaffen hat, ist aber jedenfalls in individuellen Rechts-
und Moralverhältnissen schlechterdings nicht zu begrün-
den.Hartgesottene Konsequentialisten mögen das bestrei-
ten. Doch abgesehen davon, dass ihre Position schon als
ethische nicht überzeugt (und nirgends wird die moralische
Überforderung der Pflichtsubjekte so deutlich wie in kon-
sequentialistischen Kalkülen einer transpersonalen Verrech-
nung von Menschenleben), ist sie zur Begründung recht-
licher Prinzipien a limine ungeeignet. Die Legitimität jeder
rechtlichen Ordnung gründet zuletzt im Schutz subjektiver
Grundrechte der Individuen....
... Wie selbstverständlich setzt man voraus, dass solche Tötungen, sofern sie
verhältnismäßig sind, ohne weiteres legitim seien.


Gut, der Herr hält das seit 1977 geltende Kriegsvölkerrecht für moralisch nicht begründbar. Wenn ich mal die Gelegenheit dazu haben sollte, werde ich ihn fragen, wie er es moralisch begründen will, menschliche Schutzschilde zu absoluten Waffen für absolute Verbrecher zu machen mit der Folge, dass Hitler ganz sicher den 2. WK gewonnen und einen großen Teil der Menscheheit ausgerottet und versklavt hätte, wenn seine Kriegsgegner Herrn Merkels Moral gefolgt wären.

Wie auch immer, das alles hat nichts damit zu tun, dass "Kollateralschaden" ein schwerstgewichtiger juristischer Begriff aus dem aktuell geltenden Völkerrecht ist und keine Orwellsche Verharmlosung, wie es immer wieder öffentlich hingedreht wird. Das wollte ich hier in erster Linie klarstellen.
Der Stuttgarter OB Rommel:

Ich trete überall, wo das notwendig ist, der Meinung entgegen, der Umstand, dass die Diktatur zu allem fähig war, berechtige dazu, die Demokratie zu allem unfähig zu machen.
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Re: Afghanistan

Beitragvon maxikatze » Di 6. Jul 2021, 20:19

Professor Dr. Reinhard Merkel ist nicht irgendwer.
Recht hin oder her; selbst wenn das Unwort des Jahres 1999 ein korrekter juristischer Begriff ist, der in Stein gemeißelt ist, drückt das Wort eine gewisse Laxheit und Taktlosigkeit über Tote aus, die aus Versehen bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen sind.
Der Begriff ist keine "Orwellsche Verharmlosung" sondern eher ein zynischer Begriff für ums Leben gekommene Unbeteiligte. Man sollte diese Vokabel wirklich nur für unbeabsichtigte Zerstörung von Bauten nutzen.
Vielleicht sehen das nicht alle Völkerrechtler gleich und es gibt andere Auffassungen so dass die Sache noch nicht so ganz klar geregelt ist.
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Re: Afghanistan

Beitragvon AlexRE » Di 6. Jul 2021, 22:09

maxikatze hat geschrieben:Der Begriff ist keine "Orwellsche Verharmlosung" sondern eher ein zynischer Begriff für ums Leben gekommene Unbeteiligte.


Ich habe in meinem ersten Beitrag zu dem Thema den Grund für die Einführung dieses Begriffes ins Kriegsvölkerrecht erläutert. Zuvor hatte sich niemand an die Genfer Konvention gehalten, wenn militärische Gründe dagegen sprachen, und die Erfinder des Begriffes wollten erreichen, dass selbst im Kampfgebiet noch ein Minimum an Regeln zum Schutz von unschuldigen Zivilisten reale Geltungskraft erlangen kann und nicht nur auf dem Papier steht wie die alte Fassung des absoluten Verbots der Schädigung Unschuldiger, die kein Kriegführender für praktikabel gehalten hat.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass dieser Rechtsgedanke mittlerweile sehr vielen Unschuldigen das Leben gerettet hat, weil Militärs damit umgehen können, was sie mit absoluten Verboten zuvor absolut nicht konnten, wollten und taten.

Wer sich scheut, sich auf so ein juristisches Glatteis zu begeben, rettet jedenfalls kein einziges Menschenleben, kann dafür aber seine Hände in Unschuld waschen. Ich finde es nur schade, dass dieser Waschzwang so weit geht, dass nicht einmal die ganz sachliche Erklärung der Geschichte der Entwicklung dieses Begriffes auch nur zur Kenntnis genommen wird. Bloße Fakten sind nämlich weder moralisch noch unmoralisch, sondern völlig wertfrei und eine unverzichtbare Grundlage jeder Diskussion. Man kann sich einfach nicht ernsthaft unterhalten, wenn Sachverhalte gestaucht oder gedehnt werden, also Tatsachen ignoriert oder hinzugedichtet werden.
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Re: Afghanistan

Beitragvon maxikatze » Mi 7. Jul 2021, 07:42

Es ist jedenfalls ein zweischneidiges Schwert.
Ich verstehe überhaupt nicht, warum du so sehr für das Recht einstehst, dass Kollateralschäden in Kauf zu nehmen sind und dieses Unwort ein völlig normaler Begriff ist. Ist es nicht. Kein Gesetz der Welt kann mich zu einer anderen Meinung zwingen. Nur weil es in den Gesetzesblättern steht, muss es nicht automatisch moralisch einwandfrei sein. Von Menschen festgelegte Gesetze sind keine Naturgesetze, die unumstößlich sind. Versteh mich nicht falsch, bin nicht zwingend dagegen, ich stoße mich nur am Begriff.
(Für mich wäre beispielsweise ein Abschuss einer Passagiermaschine gerechtfertigt, zwar mit Bauchschmerzen, wenn ein Terrorist erkennbar beabsichtigt, auf ein Atomkraftwerk zuzusteuern ... Was sagte dazu das Bundesverfassungsgericht?)

Weil du den Vergleich mit der Naziherrschaft herangezogen hast, kann ich das auch:
Die Alliierten haben ganz genau gewusst - und zwar schon lange vor dem D-Day - dass Deutschland Vernichtungslager aufgebaut hat und darin Menschen vergast wurden. Warum haben sie diese Lager nicht gleich in die Luft gejagt? Wollte man keine "Kollateralschäden" in Kauf nehmen? Hat man deshalb davor zurückgeschreckt, weil dadurch unweigerlich alle Insassen dabei ums Leben gekommen wären? Oder war damals die Gesetzeslage unklar?

Was hat der Einsatz in Afghanistan für Kosten verursacht?
https://www.zeit.de/2021/27/bundeswehr- ... obal-de-DE
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Re: Afghanistan

Beitragvon AlexRE » Mi 7. Jul 2021, 07:53

Ich habe diese Rechtsschöpfung hier nicht propagiert, sondern nur erst einmal erläutert, dass es sich um eine solche handelt. Die meisten Leute glauben nämlich, dass es sich nur um eine blöde Verharmlosung von Kriegshandlungen gegen Zivilisten handelt.

An dem Entstehen dieses Missverständnisses haben sich auch alle Medien und die Justiz fleißig beteiligt.

Die wahre Rechtsgrundlage für die Einstellung des Verfahrens gegen Oberst Klein (mittlerweile Brigadegeneral) nach der Tragödie von Kundus war z. B. diese Regelung, nach der überschaubare Kollateralschäden an geschützten zivilen Rechtsgütern legal in Kauf genommen werden dürfen, wenn nur so wichtige militärische Ziele von möglicherweise kriegsentscheidender Bedeutung getroffen werden können.

Der afghanische Agent der Bundeswehr vor Ort hatte die Falschmeldung durchgegeben, dass sich bei den Tankwagen einige der ranghöchsten Taliban, aber nur wenige Zivilisten und keine Kinder befänden. Wenn das wahr gewesen wäre, hätte er die Kollateralschäden hinnehmen dürfen. Deshalb befand er sich in einem schuldbefreienden Erlaubnistatbestandsirrtum und wurde nicht angeklagt.

Als Begründung für die Einstellung hieß es aber, dass er das deutsche Camp gegen einen Terroranschlag mit den Tankwagen schützen musste. Das erschien den meisten Menschen weltweit natürlich als faule Ausrede, weil man ohne Überraschungseffekt keine ungepanzerten Fahrzeuge gegen eine starke militärische Bastion einsetzen kann.

Aber sie haben lieber den Verdacht der Strafvereitelung aufkommen lassen, als ein Unwort des Jahres in der juristischen Begründung zu verwenden. So weit sind wir schon mit der politischen Feigheit der Justiz.
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Re: Afghanistan

Beitragvon maxikatze » Sa 10. Jul 2021, 18:16

Ich sagte bereits: Die Taliban wittern Morgenluft. Dass es so kommt, war von vornherein klar. Kein Wort kann den Taliban geglaubt werden, dass sie keine fremdländischen Terroristen mehr verstecken. Sie sind selbst die Terroristen. Oder ist noch jemand blauäugig genug zu glauben, dass sie Verträge einhalten werden? Das Aufgebaute wird wieder zerstört. Gewonnen hätten westliche Truppen erst dann, wenn die Taliban und andere radikale Gruppen mit Stumpf und Stiel ausgerottet worden wären.
Die sind wie Krankenhauskeime, die man nicht wieder los wird.
Nach dem Abzug der westlichen Truppen überrennen die radikalislamistischen Taliban weite Teile Afghanistans. Die USA wirken wie Verlierer, für die Afghanen beginnt das Grauen. Der brutale Religionsführer und Massenmörder Hibatullah Achundsada übernimmt die Macht - wer ist der Mann?

https://www.n-tv.de/politik/politik_per ... obal-de-DE
https://www.n-tv.de/politik/Wenn-die-Ta ... 60768.html
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Re: Afghanistan

Beitragvon AlexRE » Sa 10. Jul 2021, 18:24

maxikatze hat geschrieben:Ich sagte bereits: Die Taliban wittern Morgenluft. Dass es so kommt, war von vornherein klar. Kein Wort kann den Taliban geglaubt werden, dass sie keine fremdländischen Terroristen mehr verstecken. Sie sind selbst die Terroristen. Oder ist noch jemand blauäugig genug zu glauben, dass sie Verträge einhalten werden? Das Aufgebaute wird wieder zerstört. Gewonnen hätten westliche Truppen erst dann, wenn die Taliban und andere radikale Gruppen mit Stumpf und Stiel ausgerottet worden wären.
Die sind wie Krankenhauskeime, die man nicht wieder los wird.
Nach dem Abzug der westlichen Truppen überrennen die radikalislamistischen Taliban weite Teile Afghanistans. Die USA wirken wie Verlierer, für die Afghanen beginnt das Grauen. Der brutale Religionsführer und Massenmörder Hibatullah Achundsada übernimmt die Macht - wer ist der Mann?

https://www.n-tv.de/politik/politik_per ... obal-de-DE
https://www.n-tv.de/politik/Wenn-die-Ta ... 60768.html


Im Moment sieht es wirklich schlecht aus. Allerdings darf man nicht vergessen, dass die USA die Taliban selbst mit aufgebaut hatten, um das Chaos der Stammeskriege nach dem Abzug der Sowjets unter Kontrolle zu bekommen. Wenn sie jetzt keine Terroristen mehr beherbergen, die Anschläge in den USA und Europa begehen, haben sie ihr Kriegsziel trotz allem erreicht. Wenn doch wieder solche Anschläge wie 9/11 erfolgen, wird der Krieg seitens der USA oder der Nato weitergeführt werden. So oder so, zum jetzigen Zeitpunkt ist es einfach nicht richtig, eine Niederlage der Amerikaner herbeizuschreiben. Entweder die Taliban halten sich an das Abkommen, dann ist der Krieg vorbei und wegen des Erreichens der amerikanischen Kriegsziele jedenfalls keine Niederlage, oder er geht weiter und ist deshalb nicht mit einer Niederlange zu Ende gegangen, weil er eben nicht zu Ende ist.
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Re: Afghanistan

Beitragvon maxikatze » Sa 10. Jul 2021, 19:33

Alex schrieb:
Wenn sie jetzt keine Terroristen mehr beherbergen, ...


Das sind doch selber Terroristen. Taliban, die das Volk drangsalieren, sind Terroristen.
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Re: Afghanistan

Beitragvon AlexRE » Sa 10. Jul 2021, 23:40

maxikatze hat geschrieben:Alex schrieb:
Wenn sie jetzt keine Terroristen mehr beherbergen, ...


Das sind doch selber Terroristen. Taliban, die das Volk drangsalieren, sind Terroristen.


Es geht um Terroristen, die sich Angriffe auf Nato - Staaten herausnehmen. Das nicht mehr zu tun, haben die angeblich siegreichen Taliban unterschrieben und damit die amerikanischen Kriegsziele erfüllt. Alle anderen Terroropfer zählen da nicht, zumal die Amis selbst einige solcher Opfer erzeugen.
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Re: Afghanistan

Beitragvon maxikatze » So 11. Jul 2021, 12:03

https://www.spiegel.de/ausland/afghanis ... obal-de-DE
Afghanische Kommandeure erheben schwere Vorwürfe: Das US-Militär habe ohne Übergabe Bagram verlassen. Der Abzug geschah nachts, erst Stunden später bemerkten es die Afghanen.


Nur noch eine Frage der Zeit, wann die Taliban auch in den Nachbarstaaten die komplette Kontrolle übernehmen. Allenfalls an China werden sie sich die Zähne ausbeißen.
Die Taliban gewinnen immer mehr an Boden und die Welt guckt jetzt zu, wie Afghanistan zerfällt. Müssen wir nicht mehr unsere Freiheit am Hindukusch verteidigen?
https://www.spiegel.de/ausland/afghanis ... 49d2cecb78

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