Pussy-Riot-ProtesteSchachspieler Kasparow droht Haft
Mit bunten Strumpfmasken zeigen sie ihre Solidarität - weltweit protestieren Menschen gegen das harte Urteil für die russischen Pussy-Riot-Sängerinnen. Bei einer Demo in Moskau wurde Garri Kasparow festgenommen, jetzt drohen dem Ex-Schachweltmeister fünf Jahre Haft.
Moskau - Die Haftstrafen für drei Mitglieder der Kreml-kritischen Punkband Pussy Riot sind weltweit auf Empörung und Kritik gestoßen. Rund um den Globus protestierten Anhänger der jungen Frauen in zahlreichen Großstädten gegen den Schuldspruch wegen Rowdytums aus religiösem Hass. In Russland verurteilten die Opposition, Bürgerrechtler und regierungskritische Medien die Strafen - jeweils zwei Jahre Lagerhaft - scharf.
Jetzt drohen auch Garri Kasparow bis zu fünf Jahre Haft. Der russische Ex-Schachweltmeister und Oppositionspolitiker hatte vor dem Moskauer Gericht gegen den Urteilsspruch protestiert und war wie knapp hundert weitere Demonstranten, darunter der Oppositionsführer Sergej Udalzow und auch Gegner der Punkband, festgenommen worden.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Kritiker von Kremlchef Wladimir Putin nach Informationen der Agentur Interfax vor, einen Beamten gebissen zu haben. Kasparow wies die Anschuldigung am Samstag zurück.
Die drei Sängerinnen von Pussy Riot - Nadeschda Tolokonnikowa, 22, Maria Aljochina, 24, und Jekaterina Samuzewitsch, 30 - hatten am 21. Februar mit einem Punkgebet in der wichtigsten russisch-orthodoxen Kirche gegen die Rückkehr Wladimir Putins in den Kreml protestiert. Sie sitzen seit fast einem halben Jahr in Untersuchungshaft.
Merkel: Unverhältnismäßig hartes Urteil
Die Frauen hätten die Gefühle der Gläubigen absichtlich beleidigen wollen, sagte Richterin Marina Syrowa in ihrer fast dreistündigen Urteilsverkündung. Einen politischen Hintergrund, wie ihn die Frauen betont hatten, wies sie zurück. Das Urteil zeige, dass Staat und Kirche in Russland endgültig miteinander verflochten seien, kommentierte die Zeitung "Nowaja Gaseta" im Internet. Das Onlineportal newsru.com schrieb in Anlehnung an die mittelalterlichen Hexenprozesse: "Moskau, 21. Jahrhundert: Zwei Jahre für einen 'satanischen Veitstanz'."
Der Schuldspruch sei "unverhältnismäßig hart", ließ Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mitteilen. "Ein starkes Land wie Russland müsse so viel künstlerische Freiheit aushalten", kommentierte Außenminister Guido Westerwelle in einem Betrag für die "Bild". Das Weiße Haus in Washington zeigte sich über das Urteil "enttäuscht".
Auch die EU und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa sowie Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch kritisierten das Urteil scharf.
Bürgerrechtler kritisieren, dass Syrowa das Verfahren mit 3000 Seiten Ermittlungsakten in nur acht Verhandlungstagen in Marathonsitzungen durchgezogen habe. Die Pussy-Riot-Mitglieder beschwerten sich über geringe Ruhepausen. Syrowa wies mehrere Befangenheitsanträge gegen sich ab.
Punkband-Anhänger protestieren im Wiener Stephansdom
Im Wiener Stephansdom haben am Freitagabend kurzzeitig Pussy-Riot-Anhänger gegen die Haftstrafen für drei Musikerinnen der Band demonstriert. Die etwa 150 Teilnehmer der Protestaktion mit rosafarbene Strumpfhosen über den Köpfen, wurden bereits nach etwa einer Minute vom Sicherheitsdienst der Kathedrale abgeführt.
In Warschau forderten etwa 150 Menschen am Rande eines historischen Besuches des russisch-orthodoxen Patriarchen Kirill "Freiheit für Pussy Riot": "Heute sind wir alle Pussy Riot, und wir erlauben niemandem, uns den Mund zu verbieten", sagte eine Demonstrantin. Auch in Berlin und Hamburg kam es zu Protestaktionen, ebenso in New York, Barcelona, Prag oder Paris. Etliche Demonstranten trugen die für Pussy Riot typischen bunten Sturmhauben.
Die russische-orthodoxe Kirche bat unterdessen um Milde für die Verurteilten. Zuvor hatte der Moskauer Patriarch Kirill I. die höchstmögliche Strafe für die Sängerinnen gefordert und Pussy Riot als Angriff gegen das gesamte religiöse Russland bezeichnet. Der Sprecher von Putin wollte das Urteil zunächst nicht kommentieren. Putin hatte sich zuletzt für eine "nicht zu harte" Strafe ausgesprochen.
Zuhörer im Saal reagierten mit "Schande"-Rufen auf das Urteil. Doch die Mehrheit der Russen verurteilt einer aktuellen Umfrage zufolge die skurrile Performance der jungen Frauen, von denen zwei kleine Kinder haben. Den Grund sehen Experten darin, dass vor allem für Einwohner jenseits der Metropolen Moskau und St. Petersburg das Staatsfernsehen einzige Informationsquelle ist.
Einem Gnadengesuch an Putin hatten die Künstlerinnen bereits im Vorfeld eine Absage erteilt. Ihre Anwälte wollen notfalls bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen.
abl/dpa/dapd