GAULAND
Nachdem der stellvertretende Vorsitzende der AfD, Alexander Gauland, in einem „Kicker“-Interview über Omri Bunsenstein, den Mittelfeldregisseur von Makkabi Wedding, gesagt hatte, die Leute fänden ihn zwar als Fußballspieler gut, wollten ihn aber nicht als Nachbarn haben, erklärte der Trainer von Makkabi Wedding, niemand fände Bunsenstein als Fußballspieler gut, schon gar nicht er selbst, aber er müsse ihn trotzdem immer aufstellen, weil ohne die Spenden von Bunsensteins Vater Makkabi Wedding längst pleite wäre.
Daraufhin passierte wochenlang erst einmal gar nichts – doch dann stieß der bekannte Journalist und Nazijäger Henryk M. Broder beim Zahnarzt zufällig auf die alte „Kicker“-Ausgabe, und bereits zwei Stunden später – seine linke Wange war noch ein bisschen taub – schrieb er auf „Welt online“: „Solange die AfD Minarette und schlechten Mundgeruch an Ramadan verbieten will, bin ich auf ihrer Seite. Aber wer den jüdischen Ronaldo beleidigt, beleidigt auch mich, und wer mich beleidigt, ist ein Antisemit. Übrigens frage ich mich, warum seit 1945 noch nie ein Jude in der deutschen Nationalmannschaft spielen durfte, wenn Sie wissen, was ich meine, Herr Löw!“
Noch am gleichen Abend wurde der Trainer der deutschen Nationalmannschaft bei einer Pressekonferenz im EM-Trainigslager im Tessin von einem „Bild“-Reporter gefragt, ob er etwas gegen Juden habe. Joachim Löw roch aus Verlegenheit erst kurz an seiner linken, dann an seiner rechten Unterachsel, und dann erklärte er, dass er vor ein paar Stunden mit Bunsenstein telefoniert habe, um ihn als Spieler für die Frankreich-EM nachzunominieren. Allerdings wisse er nicht, ob Bunsenstein komme. Der sei gerade in Tel Aviv, wo er wie jedes Jahr seine Sommerferien verbringe, weil sein bester Freund Jossi Klein dort ein Hotel habe, in dem er umsonst wohnen könne, und darum wolle er es sich noch überlegen. „Wenn Bunsenstein also nicht bei der EM für Deutschland spielt“, sagte Löw und kratzte sich gedankenverloren zwischen den Beinen, „dann hat das nichts damit zu tun, dass ich ein Antisemit wäre, sondern dass Leute wie er offenbar an keinem Schnäppchen vorbeigehen können.“
Das hätte Löw nicht sagen sollen. Jetzt schalteten sich in die Bunsenstein-Debatte auch noch Volker Beck, Sigmar Gabriel, Didi Hallervorden und der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime ein, der bei einer Pro-Bunsenstein-Demo am Brandenburger Tor in Berlin ausrief: „Bunsenstein muss spielen – und vorher zum Islam konvertieren!“ Und sogar die Bundeskanzlerin persönlich mischte sich ein. Sie ließ ihren Pressesprecher erklären, sie wisse zwar genau, was Joachim Löw meine, trotzdem müsse er aber alles dafür tun, dass Bunsenstein in Frankreich neben Özil und Khedira auflaufe, denn Deutschland dürfe es sich als großes Exportland nicht mit den Juden verderben, nachdem es zur Zeit schon mit den Moslems nicht mehr so gut laufe wie noch vor ein paar Monaten. Nur Alexander Gauland sagte nichts mehr zu dem Thema, weil Frauke Petry ihm bei einem geheimen Telefonat erklärte, er habe sich die Juden zu früh vorgenommen.
Gleichzeitig interviewten Reporter aller großen Zeitungen und Fernsehsender Bunsensteins Nachbarn in Wedding. Die alte deutsche Dame, die auf seinem Stockwerk in der Müllerstraße wohnte, sagte, ja, Herr Gauland habe absolut recht, dieser Bunsenstein sei wirklich ein unerträglicher Kerl, er schließe die Haustür nachts nicht ab und pfeife im Treppenhaus immer laut und schief alte Klezmer-Hits. Und der Chef der libanesischen Großfamilie, die über, unter und neben Bunsenstein wohnte, guckte zuerst den RTL-Reporter, der ihn nach Bunsenstein fragte, überrascht an. Dann machte er ein lautes, schnalzendes Geräusch mit den Lippen und sagte: „Ach, unser Nachbar ist Jude? Das wusste ich ja noch gar nicht. Idris und Ali werden sich bald um ihn kümmern, alhamdullilah!“
So kam es also, dass Bunsenstein letzten Montag gegen die Ukraine spielte. Meistens stand er nur herum, er wurde von Özil und Khedira nie angespielt, und als er doch einmal den Ball bekam, hätte er fast ein Eigentor geschossen, aber zum Glück stand Boateng auf der Linie und rettete. Danach durfte Bunsenstein zwar nie wieder spielen, aber als die Deutschen im Viertelfinale gegen Albanien rausflogen, meldete sich endlich wieder der stellvertretende Vorsitzende der AfD zu Wort. Er nannte in den „Tagesthemen“ Bunsensteins EM-Teilnahme ein „zweites Versailles“ und einen „Dolchstoß“ in den Rücken des deutschen Volkes. Das, schloss Alexander Gauland, und seine Stimme schnurrte dabei noch leiser und angenehmer als sonst, habe aber natürlich nichts damit zu tun, dass Bunsenstein Jude sei, und für mögliche Missverständnisse entschuldige er sich jetzt schon, denn er habe vom Fußball leider überhaupt keine Ahnung.
FAS, 19.6.2016