Von Björn Uhde | bj. Bad Segeberg –
Warum ein Ausscheiden Griechenlands aus der EU massive Schäden hinterlässt – und die EU ramponiert
Seien wir ehrlich: Ja, Griechenland hat seine Hausaufgaben nicht gemacht. Das Land hat seit Jahren massive finanzielle Probleme. Weder Konservative noch Sozialdemokraten konnten die Probleme lösen. Seit dem Jahreswechsel ist daher Syriza an der Macht. Für die EU ein unangenehmerer Gesprächspartner, seitdem hat man den Eindruck, es wird noch mehr gefeilscht und gehandelt als vorher. Und richtig voran geht auch nichts.
Daher mehren sich die Stimmen, die sagen: „Raus mit Griechenland aus der EU – oder wenigstens aus dem Euro!“ Allenthalben verliert man die Geduld: die Kanzlerin, die CDU, die CSU sowieso, aber jetzt stößt auch unser SPD-Vizekanzler Sigmar Gabriel in’s gleiche Horn. „Kein deutsches Geld für griechische Rentner.“ und anderes hört man da.
Bevor sich jetzt alle auf ein „Griechen raus!“ einschießen, weil das der Vereinfachung der Debatte dienlich ist (und zwar höchst zweifelhaft!) bitte ich, die gesamte politische Klasse mal für einen Moment um Stille.
Wisst ihr eigentlich, was ihr da macht? Was da eigentlich auf dem Spiel steht? Es sind mitnichten Haushaltsbilanzen, Überschüsse, ökonomische Kennzahlen, Schulden (und deren -schnitte) und Konzepte, wann wie wer wo wieder auf einen grünen Zweig kommt. Es geht auch nicht darum, ob Deutschland in der EU das Sagen hat, oder Frau Merkel den Kontinent knechtet.
Es geht um unser Selbstverständnis. Als europäische Nation. Denn: Wir sind Europa. Alle miteinander.
Diese Nation ist kein Wirtschaftsunternehmen, die „Underperformer“ mal eben so schnell entlässt und nur die Erfolgreichen weiter beschäftigt. Es geht um: Menschen. Um nicht gerade wenige. Die zu Europa gehören, unzweifelhaft: geschichtlich, geographisch, zivilisatorisch (Wer hat die Demokratie erfunden?). Dieses Land hat mit Kürzungen zu kämpfen, die anderswo barbarisch genannt werden würden – und gegen die die Agenda 2010 wie ein laues Lüftchen anmutet.
In Griechenland sterben Menschen. Kinder. Weil sich immer weniger Leute Krankenversicherungen leisten können. Die Luftbelastung, mithin die Umweltverschmutzung ist gestiegen – weil die Menschen dort vermehrt mit Holz heizen, das sie in den Wäldern schlagen.
H O L Z. Zum Heizen. Weil für anderes kein Geld übrig ist. Wie gesagt: wir reden hier von EUROPA. Nicht von Bangladesh oder Somalia.
Die EU ist ein Friedensprojekt. Als solches gestartet – und hat sich zu einem weltweit beachteten politischen Gebilde weiterentwickelt, das dem Nobelpreiskomitee den Friedensnobelpreis wert war.
Wir. haben. die. moralische. Verantwortung. hier. solidarisch. zu. sein.
Alles andere würde der europäischen Idee, unserer Geschichte, nicht gerecht werden. Staaten sind keine auf Gewinnmaximierung ausgelegten Wirtschaftsunternehmen. Und darum geht es im Endeffekt: Wollen wir eine Perspektive in der Welt sein, die für Rechtsstaat, Freiheit und bürgerliche Rechte steht? Oder eine Ansammlung der „Klassenbesten“, die am tollsten wirtschaften?
Dann aber bitte auch konsequent das bis zum Ende hin denken. „Bremen, Berlin und das Saarland: Raus aus Deutschland! Die sind eh konstant überschuldet. Warum sollen wir die mitfinanzieren?“ Gleiches gilt dann auch für die überschuldete Gemeinde in Bayern: „Schade, führt den Goldtaler wieder ein! Ihr seid es einfach nicht WERT. Wir stellen einfach Zäune außenrum auf und geben die Verkehrsmeldung durch „Bitte umfahren Sie dieses Gebiet weiträumig. Sie treffen dort eh nur auf unterentwickelte, nicht wirtschaftlich genug denkende Menschen.“
Ein Europa, das zutiefst nationalistisch denkt, wäre nicht mehr mein Europa. Das wäre keine Wertegemeinschaft mehr. Das wäre zutiefst widerlich.
Was wir brauchen ist ein Transfer von nationalen Souveränitätsrechten auf EU-Ebene, falls ein Nationalstaat so nachhaltig in den Schuldenstrudel fällt wie derzeit Griechenland. Wenn ein Staat seine Finanzen nicht mehr selbstständig geregelt bekommt, verliert er sein Haushaltsrecht. Das wird dann so lange von der EU übernommen, bis der Staat es wieder selbstverantwortlich tun kann. In Deutschland regelt das z.B. der Finanzausgleich: wenn eine Stadt insolvent ist, springt das Land ein und stellt die Kommune unter Zwangsverwaltung. Unschön, aber der Staat bleibt zusammen. Wildes Weiterwursteln auf nationaler Ebene, mit immer stärkeren Drohungen von EU- (und Nationalstaatsebenen anderer Staaten aus), wie es derzeit geschieht, befördern Nationalismus und zerstören unser Europa. Nachhaltig. Und das über ein paar Kennzahlen hinaus.
Es würde in einem widerlichen, unsagbaren nationalistischem Gezerre enden, mit einem militaristischen Russland als Nachbar.
Vor dieser Zukunft graut mir.
Daher: Hoch die europäische Solidarität! Für das, was Europa im Innersten ausmacht: Friede, Freiheit, Recht – und Brüderlichkeit, in Gleichheit.
Verzockt das nicht!
Danke.
Björn Uhde
Nicht nur Griechenland hat die "Hausaufgaben nicht gemacht." Da gibt es noch einige "Experten" die immer noch den € als Erfolg verkaufen, obwohl er gerettet werden soll/muss. Eine Währung die fortlaufend gerettet werden muss, hat keine Daseinsberechtigung.
Den Austritt aus dem Euro für die Griechen muss man für keine allzu große Katastrophe halten. Ein Ende mit Schrecken ist besser als ein Ende ohne Schrecken. Obwohl - der € war lange genug Schrecken für das gebeutelte Land. Einzig die EU hat ein Image-Problem, wenn die Griechen ihre Inland-Währung wieder einführen würden.
Für die Neofeudalherren in Brüssel ist eine Volksabstimmung, wie jetzt in Griechenland, eher kontraproduktiv, weil unberechenbar. An echter Demokratie sind sie also nicht interessiert.
Ansonsten stimme ich dem Beitrag von Björn Uhde zu. - Die Kritik an Gabriel fiel moderat aus. Da hätte es durchaus schärfere Worte geben müssen.